Kirrich ………

Stevie Wonder, Hartmut Kirrich und moi

Wir schreiben das Jahr 1972, es ist Mai. In den Büro’s in Caroline House, der Zentrale von Radio Caroline ists so gegen 19:00 ruhig geworden. Ich bin der einzige der noch da ist und erledige einige Telefonate.

Da klingelts an der Tür, ich drücke den Öffner und die Treppe hoch kommt ein etwas fülliger junger Mensch mit wildem, ja fast unbändigem, Haarwuchs und ner Kiste Bier.

„Hallo, ich bin der Harry aus Dortmund. Ich wollte mal vorbeischauen und fragen ob Ihr nen paar T-Shirts oder so habt, ich hab auch nen Kasten Bier mitgebracht..“

Da ich nicht in der Lage war diesem überfallähnlichen Besuch irgendwie dahin zurückzuschicken wo immer sie herkamen (es war noch ein Kumpel von Harry dabei, der „Lange“ Rainer) gab ich mich meinem Schicksal hin, überreichte brav ein paar Aufkleber und T-Shirts und hoffte dass sie sich bald verziehen würden.

Weil ich musste um 20:00 im Club Veronica auf dem Pier in Scheveningen auflegen.

Hartmut Kirrich, so Harry’s bürgerlicher Name, jedoch war überhaupt nicht davon zu überzeugen dass ich weg musste. Jetzt wären sie schon mal da, ob sie nicht einfach mal mitkommen könnten zum Club.

Da ich einfach nicht wusste wie ich diese vermeintlichen „Anoraks“ (männliche Piratensender-Groupies) loswerden sollte und Harry seine Dienste als Fahrer anbot, entschied ich mich sie mitzunehmen.

So wackelte Kirrich, mit schon gut 7 oder 8 Pilsetten im Kragen, überaus wichtig und sich seiner aufkeimenden Prominenz gewiss (immerhin war ich Station-Manager des wohl hippsten Radiosender Europa’s) immer forscher hinter mir her und setzte sich mit seinem Kumpel an die Bar und bestellte Bier (what else?).

So gegen 1 Uhr hatte ich auch eine geneigte vorübergehende Damenbekanntschaft an Land gezogen und wollte so gegen 2 Uhr abhauen. Kirrich bestand darauf den Laden mit uns zu verlassen und mich in meine Wohnung in Den Haag zu fahren.

Im Auto dann, wo ich dem amourösen Fortgang des Abends mit grosser Freude entgegensah, eröffnete mir Harry aus Dortmund dann dass sie ja überhaupt kein Hotel gebucht hatten und wo man denn um diese Zeit noch ne nette, nicht allzu teure Bleibe, finden könnte?

Nein!! Bitte nicht!!

Doch!

Ich brachte es einfach nicht über mein Herz die beiden angeschickerten Teutonen auf der Strasse auszusetzen also entschied ich: „Na gut, Ihr könnt auf den Sofa’s pennen. Denn um diese Zeit wird das nix mit Hotel und so“.

Fehler!

Ich wohnte zu der Zeit in einem loftähnlichen Apartment (ein riesiger Raum mit einem abgefahrenen Erker, wo mein Bett positioniert war), Harry samt Kasten Bier (nen neuer, er hatte immer 2-3 im Auto) der Lange, die leckere Blonde und ich betraten also meine Wohung und ich beschied Kirrich: „Ihr könnt Euch hinpacken wo Ihr wollt, aber bitte lasst mir das Bett!“

Ich ging ins Bad und kam 5 Minuten später zurück.

Auf meinem Bett lag Kirrich voll angezogen auf dem Rücken schnarchend, seine wilde Mähne durch Wegtrocknen des Haarsprays wesentlich unbändiger als zuvor, und der Lange saß bedröppelt auf dem einen Sofa und ich mit der Perle auf dem anderen.

Da das Mädchen sich den weiteren Verlauf des Abends so bestimmt nicht vorgestellt hatte, wurde es eine sehr keusche Nacht. Und eine kurze zudem.

Gegen 9:00 nämlich erwachte Kirrich mit einem unglaublichen Stöhnen und Krächzen und rief beschwingt in die Runde: „Ich brauch jetzt Frühstück und nen Bier!“

Kirrich’s Vorstellung von einem gelungenen Frühstück war die Fischbude wo er zwei Brötchen mit Matjes und nen Pils bestellte. Mein Magen revoltierte.

Das Girl wurde nach Hause gefahren und ich musste in den Hafen um ein Tenderboot (Bevorratungsschiff) zum Sendeschiff zu beaufsichtigen und zu checken ob alle DJ’s, Techniker, Seeleute etc. da waren.

Kirrich war begeistert, jahrelang hatte er in Dortmund an der Mittelwelle gehangen und davon geträumt einmal dabei zu sein und jetzt war er mittendrin. Natürlich wollte er mit zum Sendeschiff, da ich aber nicht mitfuhr gab ich dem Kapitän das OK dass er Kirrich und den Langen mitnehmen könnte und sie aber gefälligst auch wieder mit zurückbringen sollte.

Das Boot legte ab und mein Leben normalisierte sich; für ein paar Stunden.

Gegen 20:00 rief mich ein Nachbar unseres Bürogebäudes in meinem zweiten Zuhause an der Zeekant in Scheveningen an und meinte ich solle kommen denn da wären zwei Deutsche die wollten unbedingt ins Büro weil sie wichtige Nachrichten hätten.

Oh Gott!

Ich ins Auto und ab in die van Hoogendorpstraat. Da angekommen wartete bereits ein vollends durchtrunkener Kirrich und ein peinlich berührter Langer auf mich mit einer Plastiktonne. Darin waren irgendwelche Fanriefe für die DJ’s an Bord, die nicht übergesetzt waren. Also hatte Harry entschieden dass das  ein guter Grund sei nochmal seinen alten Kumpel Dennis zu besuchen (wir kannten uns ja schon seit 24 Stunden ….) und noch einen drauf zu machen.

Wir endeten irgendwann um 3 Uhr in einer Grotten-Disse wo Kirrich vollkommen beseelt und ohne jegliche Hemmungen den Leuten bekannt gab, er wäre der Eigner von Radio Caroline und er würde sie alle auf sein Schiff einladen. Die Menschen waren begeistert, er gab glaube ich sogar Autogramme.

Ich wollte nur noch weg!

Gen Morgen entritt der Dortmunder Titan dann in Begleitung seines guten Freundes den Stadtgrenzen Den Haags um den Heimweg in die schöne Stadt Dortmund anzutreten.

Danke lieber Gott!

So lernte ich Hartmut Kirrich kennen.

Eine ruhige (jedenfalls für meine Verhältnisse) Woche folgt bis dann am Donnerstag die gute Seele unseres Büro’s, die fantastische Elija vanden Berg, mir bekannt gab dass Harry angerufen hätte und jetzt in Oberhausen an der Grenze wäre und in ca. 2 Stunden in Den Haag wäre. Er hat mir auch was mitgebracht!

Harry?? Kenn ich nicht. Naja so einer aus Deutschland.

Harry???? Der Irre aus Dortmund???

Ja stimmt, das hat er gesagt, Dortmund.

Nein!!! Ich bin nicht da.

Wenn er kommt sag ihm ich bin in Zandvoort (ich hatte als defakto Popstar drei Wohnungen, in Den Haag, Scheveningen und Zandvoort) und bin nicht zu erreichen. Ich stieg ins Auto und flüchtete.

In Zandvoort bin ich dann etwas später meine Runde gegangen von der „Oase-Bar“ über das „Riche“ zu meinem Freund Wim Peeters und irgendwo unterwegs (Zandvoort ist nicht sehr gross) betrat ich dann mit Wim und seiner absolut umwerfenden Assistentin Karin (meine zweite große Liebe) in romantischer Stimmung das Cafe Neuf; dort schallte uns aus den tiefen des Raumes der Ruf: „Ich wußte es, wir finden ihn!! Kingchen, hier!!! Ich bins der Harry aus Dortmund!!“entgegen.

Bereits grosszügig pilsiert und den Realitäten nicht mehr vollkommen gewappnet erhob sich Harry um mich zu umarmen und rief „Das ist Dennis King, der Chef von Radio Caroline! Mein Freund!“.

Danke Harry!!

Meine Begeisterung kannte keine Grenzen, nicht nur musste dieser Depp mich vor meinen gesamten Kumpels vollkommen der Lächerlichkeit preisgeben, nein, zudem befürchtete ich auch ein weiteres amouröses Desaster.

Karin war etwas verwirrt, kannte sie mich doch als recht introvertierten und zuweilen schüchternen jungen Menschen. Daß ich solche Naturgewalten zu meinem Freundeskreis zählte hatte sie nicht erahnt.

Irgendwie gelang es mir Kirrich und seiner Begleitung (ein hübsches Kind… was macht der Hirnie mit so ner Hammerbaut?) ne Pension zu besorgen und ihm zu versprechen dass ich ihn morgenfrüh zum Frühstück ausführe.

Daraufhin zieht mich Kirrich zur Seite und murmelt mir lautstark und deutlich fern der Heimat ins Ohr:

„Kingchen, alte Socke, die Kleine die ich da bei mir habe ist ganz scharf auf Dich. Ich habe ihr erzählt wer Du bist.“

Eh …….. ja?? Und??

„Ach komm Kingchen, gib Dir nen Ruck und kümmer Dich um sie. Sonst erzählt die nachher noch in Dortmund rum, ich hätte gar keine Radio-Connections. Du weisst doch wie das ist“

Nö, weiss ich nicht. Ehm Karin….

Na gut es endete also damit dass ich sowohl mein Gastgeschenk aus Dortmund sowie die göttliche Karin in meine Wohnung nam und dort, als ich kurz auf der Dachterasse war um mir ne Tüte zu rauchen und zurückkam, die beiden Girls in meinem Bett vorfand und deutlichst merkte dass ich nicht benötigt wurde.

Auch nicht schlecht.

Graham Gill, Bob Noakes, ich, Kirrich und Ossi Mauresberger in Erkrath.

So könnte ich noch mindestens 200 Seiten vollschreiben über meine Freundschaft zu diesem Menschentier Kirrich, seiner unbändigen Gier nach Leben, seinem Unfug und seiner Liebenswürdigkeit.

Seiner Freundschaft, seinem offensichtlichen Wahn und seine grenzenlose Freude am Sein.

Obwohl wir nen holperigen Start hatten, hat unsere Freundschaft über 40 Jahre gehalten.

Er hat mich immer begleitet auf all meinen Wegen und Irrungen, er hat mich nie gebremst, er hat mich nie kritisiert und er hat mich immer so genommen wie ich war und bin.

Hartmut Kirrich war der beste Kumpel den ein Mensch nur haben kann.

Seit letzten Freitag ist er tot.

Er starb dort wo er immer am liebsten war, in seinem Haus in Julianadorp in Holland. Gleich hinter den Dünen und nur 2 Minuten Fussweg zur Stammkneipe.

Ich kann nicht verstehen warum die Besten immer zuerst gehen müssen, Kirrich war weit davon entfernt perfekt zu sein, er war bestimmt nicht vollkommen.

Er war aber ein wirklicher Mensch, ein Überleber und ein grosser Seelenkasper!

Lieber Hartmut, ich bin sehr, sehr traurig darüber dass wir uns vor Deinem Weggang nicht mehr sehen und (wie geplant) über all die Jahre sprechen konnten.

Unsere Abenteuer und unsere Kämpfe mit der Sau Leben.

Unsere grandiose Rundreise nach Südfrankreich, wo wir mit Abi Nathan die „Voice of Peace“ seefertig machten.

Unsere grandiosen Feste in Dortmund.

Die Fete mit Hoffmann in Wichlinghofen zum Start von American Top 40 im WDR.

Die grossartigen Tage bei Rob van der Waal in der Wohnung mit den kanadischen Anhalterinnen.

Die Fahrt über die Radwege (und wirklich nur über Radwege) mit Deinem Renault 4 von Zandvoort bis an den Vondelpark in Amsterdam um 4 Uhr morgens.

Die Tage in Wellinghofen im „Alten Godekin“ zu unseren Frühstücksfesten.

Unsere Niederlagen und Verfehlungen, unsere Kämpfe und Schlachten.

Du wirst immer um mich sein und wenn mein Leben zu veröden droht, dann weiß ich daß Du mild korrigiertend eingreifen wirst um alles wieder in die rechte Bahn zu lenken.

Ich bin wirklich untröstlich.

Und ich danke Dir dafür dass ich Dich kennen durfte.

Mir fehlen die Worte.

Nun ruhe gut, Du hast es Dir verdient.

Hier unten ist es aber durch Deinen Weggang leider ein wenig ruhiger geworden!

Irgendwann sehen wir uns da oben wieder, mach schon mal Platz an der Bar und erklär Denen schonmal wer ich bin…..

Dein Kingchen

Über dennis2410

Intendant von KingFM - Premium Music Radio http://www.kingfm.net
Dieser Beitrag wurde unter Uncategorized abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

2 Antworten zu Kirrich ………

  1. Werner Girlich schreibt:

    Hallo Dennis,
    danke für diesen schönen Nachruf. Du hast Harry wirklich genau beschrieben.

  2. daggy schreibt:

    hi dennis, ich habe mal wieder eine schlaflose nacht, da ich über den tod meines bruders u. die ganzen umstände drum herum nur schlecht drüber hinwegkomme !
    ich habe gerade erst deinen artikel bzw. nachruf über „meinen harry“ gelesen. mir sind mal wieder die tränen geflossen, aber … danke !!! das hat mich sehr berührt !!!
    ich würde mich sehr freuen, wenn wir mal gemeinsam telefonieren könnten !!!
    ruf mich doch bitte einmal an !
    ich würde mich seehr darüber freuen !!!
    ganz viele liebe grüße von daggy

Hinterlasse eine Antwort zu Werner Girlich Antwort abbrechen